empathisch

 

Aus irgendwelchen Gründen, die mir nicht wirklich verborgen sind, hatte ich es immer mit Außenseitern zu tun. Was für ein eigentlich wunderschönes Wort – Außenseiter. Schließlich sieht man von den meisten Menschen nur die Außenseiten und die meisten interessieren sich auch nur genau dafür. Man läuft durch die Lebenswelt und schaut sich den ganzen Tag Außenseiten an – von Menschen, Häusern und Gefühlen. Man stößt gegeneinander und überläuft sich.

Aber die Innenseiten von Außenseitern sind unglaublich spannend.

Mein Schrankmonster war mir sehr ans Herz gewachsen über meine Kindheitsjahre. Ich ließ die Tür von meinem Kleidungsort immer ein wenig offen, damit es genug Luft bekam und legte einige Hanuta hinter meine Kleidung. Schrankmonster haben keine gute Lobby und das setzt ihnen bis heute zu – wenn man sie googelt findet man lauter negative Berichte über sie, mehr als 20.000 Boshaftigkeiten. Die kleinen Menschen fürchten sie, stellen Blockade-Gegenstände vor Schränke und von den Großen werden sie verleugnet. „Nein, da ist nichts im Schrank“ sagen die Stammesältesten dann zu ihren Nachkommen, aber zur Sicherheit kann man ja trotzdem mal einen Stuhl davor stellen.

Ich habe mich früh angefreundet mit Waldemar, meinem Schrankmonster. Er hatte natürlich Depressionen, weil er gesehen werden wollte aber es nicht wurde. „Und dann noch ein Wesen finden, dass das Gesehene auch mag“ – das war sein einziger Wunsch.

Aber wenn er sich mal ein wenig traute und ihn jemand sah, dann kamen die Stühle und die Verleugnung und die Traurigkeit könnte nicht größer gewesen sein.

Wir überlegten gemeinsam Lösungswege, in meinen langen Nächten mit 9 Jahren, die Schulkonzentration verhinderten – aber so einfach war das nicht. Er lebte nun mal im Schrank, weil er kein Licht vertrug und sich von vergessenen Shirts, Staub und Hanuta ernährte.

Und er sah halt scheiße aus. Gruselig. In den Augen der Menschen. Und die traurige Tatsache, dass sich seine ekstatische Freude über kleine Kinder in deren Ohren anhörte wie ein unheimliches Grollen, mit dem auch ein „komm spiel mit mir“ irgendwie bedrohlich klang – die gab ihm den Rest.

Es gibt eine äußerst ausgefeilte Analogie, die sich hier quasi aufdrängt:
Er hätte sich verkleiden und verstellen können, um angenommen zu werden.
Aber so plump, wie diese Gesellschaftskritikmetapher nun einmal war, wurde Waldemar nur noch trauriger und es wurde uns gemeinsam schnell klar, dass weder einfache Lösungen noch tiefschürfende Metaphern Leben verändern.

Also verkroch er sich in eine der zahlreichen hintersten Ecken des Schranks und lebte dort. Er hatte Glück, denn ich wurde sein Freund, weil ich selbst sehr gern im Schrank und auch sonst irgendwie wie er war – den meisten Schrankmonstern ist das nicht vergönnt.

Niemand weiß so genau, wie Schrankmonster in Schränke kommen, wie Außenseiter zu Außenseitern werden.
Es passiert einfach,
vielleicht weil man so ist wie man ist und das auch zulässt.
Oder weil irgendwer oder irgendwas das genau so will.

Wahrscheinlich geht es auch gar nicht anders – denn wenn es keine Außenseiter gäbe, gäbe es auch viel weniger Erfindungen, pseudophilosophische Texte oder Schachspieler. Die Welt wäre weniger bunt, selbst wenn die meisten Leute diese Farben niemals sehen.

Nicht nur das Außen kann uns verleugnen. Am besten können wir das selbst. Das habe ich oft in Gesprächen mit den Außenseiten von fröhlichen Gesellschaftsmenschen erlebt, die sich im Grunde ihres Herzens eine hinterste Ecke nur für sich allein wünschen. Ein Schrank kann zumindest eine Heimat sein – ständig wechselnde Gemeinschaften sind es eher nicht. So bleiben dann, wie eigentlich bei allem was man so schreiben kann, am Ende nur wieder Fragezeichen und ein paar wirre Gedanken.

Also sind wir halt alle Schrankmonster. Die einen sind es wirklich, die anderen wären es vielleicht lieber, als die Verleugnung es ihnen ein Leben lang weismachen kann.
Was ist die bessere Alternative:
Canapés, Morcheln und Rotwein-Chi-Chi
oder Shirts, Staub und Hanuta?

 

 

(C) Martin Cordsmeier

Ein Gedanke zu “empathisch

  1. Oder einfach das sein was du bist. Ohne dich an andere anzupassen. Denn nur so wird die Geschichte neu. Und eine neue Geschichte, ein neues Leben brauchen wir um die Zukunft zu schaffen. Die Natur gestaltet gerne Menschen die ein Herz haben und die anders sind um die dringende Änderung zu meistern. Diese Menschen müssen andere finden um Realitäten zu schaffen die „anders“ sind. Und das ist eine wundervolle Aufgabe. Dies aber nur wenn der Ruf des Inneren groß genug ist und das Vertrauen darin anders zu sein und „gut“ der Traurigkeit nicht dazuzugehören gewichen ist. Dann wird das Schrankmonster auf einmal die Energie haben um nach aussen zu treten. Die Energie nimmt zu und ihr ändert gemeinsam die Welt zu mehr Menschlichkeit und Liebe. Denn meist sind Schrankmonster gezüchtet durch externe „du musst so sein damit du mir gefällst“. Ich bin ein Freund meines Hüter der Menschlichkeit und de Liebe geworden. Ich habe es nie als Monster erlebt sondern als den Anteil der sich nicht in eine kranke Gesellschaft integrieren will. Es war zwar schwer den Weg zu finden diesen Teil wahrhaftig zu integrieren. Aber es ist das Schönste was es gibt. Heutzutage helfe ich anderen Menschen sich ihrem Schrankmonster zu nähern und es zu leben. In keinem Fall bereue ich die Hilfe. In jedem Fall bin ich über die Liebe und die Weisheit überrascht, über die Schönheit und die Kraft. Sie setzen alles daran um das Leben für sich selbst und zum Wohle aller zu gestalten. Sie gehen von der Angst in eine ansteckende Freude. Fast wie bei der Monster AG. 😆 Ich freue mich auf mehr Menschen die ihr Monster beginnen zu lieben und auf eine Welt der Verschiedenartigkeit. Des Lebens….

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