weich

(ICH = IRGENDJEMAND)

Es muss vor vielen Jahren gewesen sein, als eine ehrliche Zeit zu Ende ging: Die Zeit, in der ich noch klein und die Welt noch offen für alles war. Ich sah unbegrenzt Material, aus dem man alles bauen konnte. Anfangs Sandkuchen, später Obsttiere. Und eigentlich viel mehr. Aber langsam verblich diese Zeit und ich fing an, das Bauen zu beobachten. Alles um mich herum wurde gebaut. Die Welt baute plötzlich meine Welt.

Sie griff sich meine Sandwelten und baute Kisten daraus. Meine Naivität wurde zur Vernunft und meine Vorstellung von Glück wurde eine Theorie. Das war nicht traurig, es war normal. Bei allen Menschen um mich herum geschah ja dasselbe. Und so fragte ich nicht weiter und ließ sie „mich“ bauen…
Umbauen.

Aber nichts auf der Welt kann sich in Luft auflösen. Nichts verschwindet wirklich, es sieht nur manchmal so aus. Weder Wunden noch Träume sind jemals einfach weg. Also baute ich mir aus all dem verlorenen Material meiner Kindheit ein zu Hause im Konjunktiv. Da war mein Traum. Mein Traum, der Watte um mich legte, so weich, dass es so heimisch wirkte. Ein Nest, endlich ein Nest, in dem ich leben darf. So leben wie früher, als ich noch klein und die Welt noch offen für alles war.

In dieses Nest legte ich all meine Sandwelten.

Es kam immer mehr Watte. Immer mehr weich. In der Alltags-Realität war für meine Wünsche kein Platz mehr, oft nicht einmal mehr für die einfachen, kleinen. Also verbannte ich sie alle in meine Konjunktiv-Welt. Alles um mich herum wurde weich und mein zu Hause wurde es auch. Es zerfloss zwischen all den schwachen Kontrasten. Und das Einzige, was ich in meinem „echte Leben“ tröstlich zu mir sagte, war immer wieder, dass diese Welt irgendwann einmal meine Realität sein würde…
Mein „echtes Leben“ war in erster Linie laut, digital und genormt.
Es passte in die iCloud, die meine Traumwolken ersetzt hatte.
Mir wurde bewusst, dass jemand, der meine Wohnung betritt, weniger von mir weiß, als jemand, der mein iCloud Kennwort hat.
Meine Vorstellung von Glück hatte sich so sehr von mir entfernt. Wortfetzen standen auf meinen gelben digitalen Notizzetteln und ersetzten mein Gedanken. Und es war so viel leichter, Google als einen Menschen zu fragen.
Das Gute daran war, dass jeder um mich herum mich verstand und mir beipflichtete, das Richtige zu tun. Das Normale ist das Richtige. Träumen ist für Kinder, Konjunktiv-Welten und die Zukunft.

Und eventuell noch für Texte, die man so schreibt.
Irgendwo in dieser Watte aus Konjunktiven und „Irgendwanns“ lag ich und ich fühlte mich unglaublich weich. Außen war alles normal, die Welt nahm mich an und innerlich durfte ich meine Träume träumen. Das Leben war rosa, aber es war kein Leben mehr in diesem Zustand. In all dieser Watte aus Normalität, Vertrautheit und Bestätigung vergaß ich, dass ich keine Watte bin…

Meine Realität war grau. Von außen beobachtete ich mich, wie ich täglich die vorgegebenen Wege ging, hell beleuchtet und mit Schildern, die alles erklärten. Ich sah mich lachen und mit Menschen reden, die auf demselben Weg gingen. Ich sah zufrieden aus. Ich sah nicht glücklich aus. Währenddessen lag ich in meiner Watte.
Ich fühlte Fantasie und ich wollte sie in meiner Realität.
Ich las viele romantische Texte, online, und schrieb auch einige. Sentimentale Menschen berichteten davon, dass IKEA-Schränke und „irgendein Partner“ nicht glücklich machen würden. Sie schrieben von „grauen Gestalten in ihren langweiligen Wohnungen“ und dass das doch alles so viel besser ginge. Sie alle meinten, es besser zu wissen. Man solle doch einfach „nur im Moment leben“ und natürlich ist man dann „FREI“! Das alles klang irgendwie schön und ich fühlte mich verstanden in meinem Nest. Ich möchte nicht so sein wie die Menschen mit IKEA-Schränken. Das reichte mir als Ausgleich. Ich empfand mich und die anderen Romantiker als philosophisch. In meiner Generation gab es viele von ihnen.
Aber all die Gedanken von einer besseren Welt und den tiefgründigen Gesellschaftsentwürfen fanden dann auch wieder nur in meinem Nest statt. In meiner Konjunktiv-Welt. Das Philosophieren ersetzte das Umsetzen. Ich wusste ja, dass EIGENTLICH alles ganz anders ginge. Und dass ich es jederzeit machen könnte. Aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es nichts hilft, meinen IKEA-Schrank zu entsorgen. Die Traurigkeit geht nicht mit den Schränken.

Unser Leben im Konjunktiv. Wir leben es bis heute. Man kann darüber schreiben und man kann uns davon erzählen. Man kann uns allen sagen, dass es anders geht. Und sich selbst auch. Aber wahrscheinlich wäre es wesentlich Schöner, das Nest mal für einen Moment zu verlassen, uns unsere Realität anzuschauen und zu spüren, was uns an beidem wirklich berührt. Und was nicht. Das ist unser Material. Und dann können wir daraus etwas bauen. Bauen wir unsere bessere Realität. Eine Realität, die nicht nur aus Watte besteht.

//philosophischer Text erstmal beendet nach dem Punkt. Was nun?

 

 

(C) Martin Cordsmeier

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